Beate Kuhn

Keramik aus dem Geiste der Musik und der Natur

Wiederholung und Variation – neben dem überbewerteten Moment der Innovation sind
sie die grundlegenden Prinzipien der Künste, von der Tradition bis zur Avantgarde. Dass die deutsche Keramikerin Beate Kuhn, auf Genese und Herkunft ihrer Arbeiten angesprochen, immer wieder auf die Neue Musik des 20sten Jahrhunderts als Einfluss verwies, ist nicht einfach eine persönliche Marotte der Künstlerin gewesen. Sie, die beim Arbeiten mit Vorliebe die gänzlich atonale Musik Luigi Nonos hörte, hatte die strukturellen Analogien der verschiedenen Bereiche begriffen und, fruchtbar und eigenwillig wie niemand neben ihr, intuitiv jene so simplen Grundprinzipien gestalterischen Bildens in die zeitgenössische Keramik übertragen.

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So erfand sie sich ein ganz eigenes, unverwechselbares Idiom: Eine aus den genuinen Mitteln und Techniken der Töpferei stammende, gleichwohl aber erstaunlich freie keramische Plastik, indem sie ihre oft an die Grenze des technisch und handwerklich Machbaren stoßenden Plastiken gänzlich aus auf der Scheibe gedrehten, endlos variierten und farbig glasierten Elementen zu größter Komplexität montierte. Motivische Anregungen waren ihr hierbei, im weitesten Sinne, Geschöpfe und Gebilde der Natur, die sie – programmatisch als Tier und Pflanze oder in abstrahierender Interpretation von Gewächs als organische Komposition – mittels Reihung und Montage in plastische Formen umsetzte, nicht spontan sondern, im Wissen um die Tücken „tonaler“ Stabilität, akkurat anhand vorgezeichnetem Bauplan, von verspielter Miniatur bis zur raumgreifenden Baukeramik. Nachträglich braucht es nicht viel, in den ungegenständlichen Reihungen, zu Agglomerationen und Clustern verbundenen, in Größe, Chromatik und Rhythmik modulierten Volumina Kompositionen zu sehen, die aus der plastischen Räumlichkeit wiederum in klangliche Zeitlichkeit übersetzbar und musikalisch als lineare, akkordische und melodische Partituren lesbar wären, ohne darum von ihrer gestalterischen Autonomie als keramische Plastiken einzubüßen. Warum nicht schon längst ein Streichquartett sich an den Versuch gewagt hat, das in vielerlei Hinsicht Partiturhafte der Gebilde stringent improvisierend in Klang zu verwandeln, verwundert. Es wäre der Empfindsamen die größte Freude gewesen.

Dass Beate Kuhn Keramikerin werden würde, war ihr nicht vorgezeichnet. Am 15. Juli 1927 in Düsseldorf geboren entstammte sie einem künstlerischen Elternhaus – der Vater Erich war Bildhauer, Pianistin die Mutter Lisa –, doch nach dem Abitur 1947 – die Familie war kriegsbedingt nach Neustadt im Schwarzwald gezogen – wäre sie zu gerne Malerin geworden, wähnte sich selbst aber als zu wenig talentiert. Ein begonnenes Kunstgeschichtsstudium in Freiburg prägte sie nachhaltig, die materiell armselige Nachkriegszeit war ihr kulturell reich. Als die künstlerische Moderne vielgestaltig und aufregend nach Deutschland zurückkehrte, waren die Heroen der jungen Kunstenthusiastin Maler wie Paul Klee und Joan Miró. In einem Vorkriegskatalog abgebildet fand sie dann Gefäße des Keramikers Jan Bontjes van Beek und sah hier mit einem Mal ihren Weg. Da aus der gewünschten Lehre bei Richard Bampi im nahegelegenen Kandern nichts wurde, studierte sie ab 1949 an der Werkkunstschule in Wiesbaden, nach der Gesellenprüfung an der Werkkunstschule Darmstadt bei Friedrich Theodor Schroeder. Noch am Ende der Ausbildungszeit entwarf sie für die Firma Rosenthal asymmetrische Vasenformen, darunter die als „Kummet-Vase“ bekannt gewordene extravagante Oval-Form mit seitlicher Öffnung.

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1953 übernahmen sie und der gleichfalls an der Darmstädter Schule ausgebildete Karl Scheid die Werkstatt ihres Lehrers im südbadischen Dorf Lottstetten, wo Beate Kuhn organische Geschirre und anthropomorphe Gefäßplastiken bemalte, figürliche Abstraktion in der Art ihrer Maler-Favoriten auf Keramik übertragend. Die Frankfurter Messe war der unverzichtbare Vertriebsweg für die in der Provinz entstandene Avantgarde-Ware. 1957 schließlich siedelte sie nach Düdelsheim in Hessen über, wo sie in unmittelbarer Nachbarschaft der neuen Werkstatt des Ehepaares Karl und Ursula Scheid und des Ateliers des Bildhauers Bernhard Vogler einen von ihrem Bruder entworfenen Wohn- und Werkstatt-Bungalow bezog, ein ungewöhnliches Einraum-Gebäude, Ort des Lebens und Arbeitens fortan. Mit ihrer gegen das Ende der 1950er Jahre entwickelten Sprache der aus Drehteilen montierten Plastik wurde die immer Liebenswürdige zu einer hochgeachteten, spätere Entwicklungen antizipierenden Ausnahmeerscheinung in der deutschen Keramik nach 1945. Anerkennungen und Preise häuften sich: 1968 wurde sie Mitglied der Genfer Académie Internationale de la Céramique, später gehörte sie zu den Gründungsmitgliedern der Gruppe 83, sie erhielt unter anderen Badische, Bayerische und Hessische Staatspreise, wurde doppelt mit dem Westerwaldpreis bedacht, zuletzt geehrt mit dem Preis der Lotte-Reimers-Stiftung, Ausstellungen hatte sie weltweit, Museen in Deutschland, Europa und Japan hüten ihre Arbeiten.
Ein keramisches Wunderland ohnegleichen hinterlassend starb die große deutsche Keramikerin Beate Kuhn am 10. Dezember 2015.

Dr. Walter Lokau

Beate Kuhn ist – neben einer unübersehbaren Zahl von privaten Sammlungen – in allen wichtigen Kunstgewerbemuseen Deutschlands und in vielen Museen weltweit vertreten; neben den schon genannten (Hetjens-Museum und Keramion) unter anderem: Schlossmuseum Aschaffenburg, Keramik-Museum Berlin, Kunstgewerbemuseum Berlin, Kunstsammlungen der Veste Coburg, Museum für moderne Keramik Deidesheim (seit 1993 Land Rheinland-Pfalz, Sammlung Hinder/Reimers), Museum für Kunsthandwerk Frankfurt am Main, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Kestner-Museum Hannover, Sammlung der Hoechst AG, Keramikmuseum Westerwald Höhr-Grenzhausen, Badisches Landesmuseum Karlsruhe, Museum für Angewandte Kunst Köln, GRASSI Museum für Angewandte Kunst Leipzig, Kunsthalle Mannheim, Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg, Kulturgeschichtliches Museum Osnabrück, Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf (Schleswig), Emslandmuseum Schloss Clemenswerth (Sögel), Württembergisches Landesmuseum Stuttgart, Musée Ariana Genf, Mimar Sinan Üniversitesi Istanbul, Victoria and Albert Museum London, Museum Boijmans van Beuningen Rotterdam, Taipeh Fine Arts Museum, National Museum of Modern Art Tokyo, Museum Bellerive Zürich.

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